Edward Mordrake: Der Mann mit zwei Gesichtern | Die Wahrheit dahinter
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  • Anastasia Michailova

Edward Mordrake: Der Mann mit zwei Gesichtern | Die Wahrheit dahinter

Aktualisiert: 23. März

War es eine böse Laune der Natur oder ein skurriler Fake? Dieser Beitrag beleuchtet die Geschichte des berühmten Mannes mit zwei Gesichtern und erklärt, woher all die viral gegangenen Bilder von Edward Mordrake stammen, welche medizinischen Erklärungen es für seinen Fall gibt und wo die Legende ihren Ursprung hat.


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Was steckt hinter der Legende von Edward Mordrake?

Wer war Edward Mordrake?


Es heißt, Edward Mordrake (manchmal auch „Mordake“) gehörte zum englischen Adel, was ihm jedoch nicht viel Trost schenkte. Denn der junge Mann wurde von einer schrecklichen Missbildung geplagt. Auf seinem Hinterkopf befand sich ein zweites Gesicht (je nach Quelle entweder das einer wunderschönen Frau oder aber eine kleinere Form seines eigenen Gesichts). Dieser „Teufelszwilling“ besaß eine ganz eigene bösartige Intelligenz.



Das Gesicht schlief niemals, sondern flüsterte Edward hasserfüllte Dinge im Geiste zu. Es seien Dinge, „von denen man nur in der Hölle spricht“. Das zweite Gesicht bewegte seine Lippen, konnte aber selbst nicht sprechen. Es sprach also nur in Edwards Kopf und das ununterbrochen. Wenn Edward weinte, schien ihn sein Zwilling nur zu verspotten. Die beiden waren auf ewig miteinander verbunden.


Edwards „Dämonengesicht“ trieb ihn letztendlich in den Selbstmord. Mit 23 Jahren nahm er sich das Leben. Er hinterließ eine Anweisung, nach der das Gesicht auf seinem Hinterkopf zerstört werden sollte, „damit es sein schreckliches Flüstern nicht in meinem Grab fortsetzt“. Soweit die Geschichte. Doch wie gelangte der Fall Edward Mordrake in die Welt und was ist da wirklich dran?



Der Fall Edward Mordrake: Die Spurensuche beginnt


Die ersten Hinweise auf Edward Mordrake finden sich im späten 19. Jahrhundert und führen uns durch die Welt der US-amerikanischen Newspaper, hinein in frühe Formen von Science-Fiction und enden in einer Reihe von Missverständnissen.


Ein skurriler Beitrag in einem medizinischen Sachbuch


Im Jahr 1896 taucht die Geschichte von Edward Mordrake in dem Buch „Anomalies und Curiosities of Medicine“ auf, das von den beiden US-amerikanischen Ärzten Dr. George M. Gould und Dr. Walter L. Pyle herausgegeben wurde. In ihrem Werk sammelten sie sämtliche skurrilen Fälle aus der Medizin, darunter auch den Fall von Mordrake, welchen sie ausführlich beschreiben. Hier folgen ein paar Auszüge aus dem Originaltext auf Deutsch:



„Eine der seltsamsten und melancholischsten Geschichten über menschliche Missbildungen ist die von Edward Mordake, der angeblich Erbe eines der edelsten adligen Geschlechter Englands war. Er hat den Titel jedoch nie beansprucht und in seinem dreiundzwanzigsten Lebensjahr Selbstmord begangen. [...] Er war ein junger Mann mit guten Leistungen, ein profunder Gelehrter und ein Musiker mit seltenen Fähigkeiten. [...]


Aber auf seinem Hinterkopf war ein anderes Gesicht, das eines schönen Mädchens, „lieblich wie ein Traum, abscheulich wie ein Teufel“. Das weibliche Gesicht war eine bloße Maske, „die nur einen kleinen Teil des hinteren Schädels einnahm und dennoch alle Anzeichen von Intelligenz zeigte, allerdings von bösartiger Gesinnung.“ Man würde sehen, wie es lächelte und spottete, während Mordake weinte. Die Augen würden den Bewegungen des Zuschauers folgen, und die Lippen würden „ohne Unterlass quatschen“. Keine Stimme war hörbar, aber Mordake behauptet, dass er nachts durch das hasserfüllte Flüstern seines „Teufelszwillings“, wie er es nannte, von seiner Ruhe abgehalten wurde, „der niemals schläft, sondern für immer mit mir über solche Dinge redet, von denen man nur in der Hölle spricht.


[...] Ich bitte und bitte dich, es [...] zu zerquetschen, auch wenn ich dafür sterbe.“ Dies waren die Worte des unglücklichen Mordake an Manvers und Treadwell, seine Ärzte. Trotz sorgfältiger Beobachtung gelang es ihm, Gift zu beschaffen, wovon er starb, und einen Brief zu hinterlassen, in dem er darum bat, das „Dämonengesicht“ vor seiner Beerdigung zu zerstören, „damit es sein schreckliches Flüstern nicht in meinem Grab fortsetzt“. Auf eigenen Wunsch wurde er auf einer Müllhalde beigesetzt, ohne Stein oder Legende, um auf sein Grab hinzuweisen.“


Dr. George M. Gould - einer der Herausgeber von „Anomalies und Curiosities of Medicine“
Dr. George M. Gould - einer der Herausgeber von „Anomalies und Curiosities of Medicine“. Bild: CC

Woher stammt diese Geschichte?


Leider haben Gould und Pyle nicht explizit erwähnt, woher sie diese Geschichte haben. Die Tatsache, dass es sich hier um ein medizinisches Sachbuch handelt und nicht einfach um eine Sammlung von Kurzgeschichten, verleiht der Veröffentlichung eine gewisse Authentizität und Seriosität. Die Mediziner selbst schreiben, die Geschichte sei „aus Laienquellen entnommen“. Sie haben sich den Fall von Edward Mordrake also wahrscheinlich nicht ausgedacht, sondern irgendwo davon gehört.



Der US-amerikanische Wissenschaftshistoriker Alex Boese hat mehrere Artikel in alten US-amerikanischen Zeitungen recherchiert, die bereits vor dem Buch von Gould und Pyle über Edward Mordrake berichtet haben. Am Anfang steht ein Beitrag aus der „Boston Sunday Post“, der vom Dichter Charles Lotin Hildreth verfasst und am 08. Dezember 1895 veröffentlicht wurde. Damit erschien dieser Artikel rund ein Jahr vor der Publikation des medizinischen Sachbuchs. Einige Tage später folgten weitere Artikel in der „Parsons Daily Sun“ (11. Dezember) und „The Decatur Herald“ (14. Dezember).


Die allererste Veröffentlichung über Edward Mordrake


Damit ist der Beitrag aus der Boston Sunday Post vom 08. Dezember 1895 die erste relevante Veröffentlichung. Dieser Artikel von Charles Lotin Hildreth trägt den Titel: „The Wonders of Modern Science: some half human monsters once thinked to be the Devil’s brut”. Dort beschreibt Hildreth eine Vielzahl sogenannter „menschlicher Freaks” (wie er sie nennt), die er in alten Berichten der „Royal Scientific Society” gefunden haben will. Unter diesen bizarren Geschöpfen waren unter anderem (1) die „Fischfrau von Lincoln“ (eine Art Meerjungfrau), (2) ein Wesen – halb Mensch, halb Krebs – mit riesigen hartschaligen Krallen an Händen und Füßen und (3) die „Norfolk-Spinne“ – eine monströse Spinne mit einem menschlichen Kopf. Und natürlich befand sich unter diesen „Freaks“ auch die Geschichte vom Mann mit den zwei Gesichtern – Edward Mordrake.


„Mordake And His Devil Twin“, Bild: Boston Sunday Post vom 08. Dezember 1895
Im Artikel gab es mehrere Abbildungen, darunter eine zu Edward Mordrake mit dem Titel: „Mordake And His Devil Twin“, Bild: Boston Sunday Post vom 08. Dezember 1895.

Hier könnten wir also den „Urtext“ für die Veröffentlichung von Gould und Pyle gefunden haben: Ein Artikel in einer Tageszeitung, geschrieben von einem Dichter. Die Texte sind im Wortlaut nämlich so gut wie identisch. Ein weiterer Hinweis, dass die Inspiration von Hildreth stammt, ist die Tatsache, dass Gould und Pyle eine weitere Geschichte aus Hildreths Artikel in ihrem eigenen Buch veröffentlichten: „Der vieräugige Mann von Cricklade“.


Boston Sunday Post vom 08. Dezember 1895, Hildreth, The Wonders Of Modern Science
Weitere Auszüge aus dem Artikel von Hildreth, Bild: Boston Sunday Post vom 08. Dezember 1895.

Edward Mordrake: Alles nur eine Lüge?


Gould und Pyle waren wohl davon überzeugt, dass die Informationen von Hildreth seriös waren, stammten sie doch von der „Royal Scientific Society“. Oder nicht? Tatsächlich scheint es nie eine „Royal Scientific Society“ gegeben zu haben. Und hätte er zufällig die „Royal Society of London“ gemeint, würden sich die Berichte mit großer Wahrscheinlichkeit in ihren Archivbeständen finden lassen, die heute vollständig digitalisiert sind. Doch Fehlanzeige. Keine Berichte über Edward Mordrake, eine Fischfrau oder einen vieräugigen Mann.



Es scheint als hätte Hildreth alles nur erfunden. Und das entspräche auch seinem Stil. Der Schriftsteller erreichte neben seinen Gedichten nämlich auch Bekanntheit durch seine fiktiven Kurzgeschichten (die heute zum Genre Science-Fiction zählen würden) und ist zudem Autor des fantasievollen Kinderromans „The Mysterious City Of Oo“, in dem ein kleiner Junge in das australische Outback reist und dort auf eine weiße Zivilisation altgriechischen Ursprungs stößt.


Doch warum veröffentlicht eine Tageszeitung eine so spekulative Geschichte? Im 19. Jahrhundert war es nichts Ungewöhnliches, dass auch belletristische Texte in Zeitungen landeten. Erst im 20. Jahrhundert kamen Zeitschriften auf den Markt, die gezielt Belletristik, also fiktive Literatur, veröffentlichten und Schriftstellern aus diesem Genre eine Plattform boten. Davor gab es diese einfach nicht. Aber es ist nicht klar, ob Hildreth seinen Text als mutwillige Täuschung oder als künstlerische Freiheit sah. Mit welcher Absicht er den Mann mit den zwei Gesichtern erschuf, lässt sich heute nicht mehr sagen. Vielleicht war alles nur ein Missverständnis.



Edward Mordrake hat also wahrscheinlich nie existiert, sondern war eine literarische Erfindung von Charles Lotin Hildreth. Leider hat Hildreth den Erfolg seiner Schöpfung nicht mehr erleben können. Er starb im August 1896 kurz vor der Veröffentlichung von Gould und Pyle.


Mann mit zwei Gesichtern – Woher stammen die ganzen Bilder?


Auch hierfür gibt es eine Erklärung. Im Internet kursieren heute zahlreiche Aufnahmen eines Mannes mit einem Gesicht auf dem Hinterkopf, der Edward Mordrake sein soll. Und in gewisser Weise ist er das auch. Hierbei handelt es sich zum Teil um alte Fotos von Wachsfiguren, die von der Geschichte um Mordrake inspiriert wurden.


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Alte Aufnahme einer Wachsfigur von Edward Mordrake, Bild: @fakehistoryhunt auf Twitter.

Es gibt tatsächlich mehrere Wachsfiguren von Edward Mordrake und ein altes Foto davon in Schwarzweiß kann schon mal für Verwirrung sorgen, da es wirklich authentisch aussieht. Eine dieser Wachsfiguren steht sogar im „Panoptikum“ in Hamburg – dem ältesten Wachsfigurenkabinett Deutschlands:


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Wachsfigur von Edward Mordrake heute, Bild: Panoptikum auf Youtube (Link am Ende dieses Artikels).

Das Bild eines mumifizierten Schädels, der angeblich die Echtheit von Edward Mordrake beweisen soll, ging 2018 im Internet viral. Zu sehen ist ein menschlicher Schädel mit zwei Gesichtern – eins davon auf dem Hinterkopf. In Wirklichkeit handelt es sich um ein ziemlich verblüffendes Kunstwerk von Ewart Shindler, der sich für seine Arbeit ebenfalls von Mordrake inspirieren lassen hat.


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Ein Kunstwerk von Ewart Shindler, Bild: EJShindler auf DevianArt.

Edward Mordrake: Eine medizinische Erklärung


Wäre es dennoch möglich, dass ein Mensch mit einem Zwilling auf dem Hinterkopf geboren wird und beide überleben? In der Medizin gibt es tatsächlich „parasitäre Zwillinge“ (Craniopagus parasiticus). Wenn sich die Embryonen der Zwillinge im Mutterleib voneinander trennen sollen, geschieht dies fälschlicherweise nicht vollständig. Die beiden Embryonen verwachsen miteinander, wobei sich ein Zwilling vollständig weiterentwickelt, während der andere nur in Teilen am Körper des „dominanten“ Zwillings weiterexistiert und von ihm abhängig ist. Der unterentwickelte Zwilling lebt also parasitär vom anderen Fötus.


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Alte Darstellungen von parasitären Zwillingen - Links: Illustrationen aus dem 1609 erschienen Werk „Monstrorum historia memorabilis“ von Johann Schenk (CC); Rechts: Zeichnung eines Kinderschädels aus dem Jahr 1783 in Bengal (CC).

Solche parasitären Zwillinge, die nach der Geburt überleben, sind sehr selten, aber kommen immer wieder vor. In einem Artikel aus dem Jahr 2017 berichtet „Der Stern“ über ein Mädchen aus Westafrika: „Die kleine Dominique ist ein besonderes Baby. Sie kam mit zwei zusätzlichen Beinen auf die Welt, die von einem fehlentwickelten Zwilling stammten. In einer Operation konnten Ärzte dem Mädchen nun helfen.“



Edward Mordrake in der Popkultur


Der Mythos um Edward Mordrake lebt hartnäckig weiter und sorgt auch heute noch für viel Faszination. Die Figur eines Mannes mit zwei Gesichtern klingt so außergewöhnlich, dass sie auch in der Popkultur immer wieder in Erscheinung tritt. Hier nur ein paar Beispiele: Es gibt eine Oper namens „Mordake“ von Ehrling Wold. Außerdem war er die Inspiration für den Song „Chained Together For Life“ von Tom Waits. 2016 wurde ein Kurzfilm mit dem Titel „Edward the Damned“ veröffentlicht. Neuerdings kam er gleich in mehreren Episoden der TV-Serie „Amercian Horror Story: Freak Show“ vor. Es heißt, es sei ein Film über ihn geplant. Wir dürfen also gespannt sein, wie die „Karriere“ von Edward Mordrake weitergeht.


 

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Quellen bzw. weiterführende Links:


(6) Ewart Shindler auf DevianArt

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