Prosopagnosie: Was ist Gesichtsblindheit? - Symptome, Ursachen & Behandlung
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  • Anastasia Michailova

Prosopagnosie: Was ist Gesichtsblindheit? - Symptome, Ursachen & Behandlung

Aktualisiert: 16. Feb.

Kaum jemand hat von „Gesichtsblindheit“ gehört. Dabei betrifft es nicht wenige von uns. Menschen, die unter der sogenannten „Prosopagnosie“ leiden, können keine Gesichter erkennen bzw. ein Gesicht nicht zuordnen – jede Person sieht aus wie die andere. Aber wie entsteht diese seltsame Krankheit und wie fühlt sie sich an? Was sagen Betroffene? Was sagt die Forschung? Gibt es Therapie-Möglichkeiten?


Prosopagnosie: Was ist Gesichtsblindheit? - Symptome, Ursachen und Behandlung
Was ist Gesichtsblindheit?

Kapitel in diesem Beitrag


  1. Symptome: Wenn ein Gesicht wie das andere aussieht

  2. Die 5 Gruppen von Menschen mit Gesichtsblindheit

  3. Wie orientieren sich gesichtsblinde Menschen?

  4. Diagnose: Gesichtsblindheit bleibt häufig unerkannt

  5. Gesichtsblinde wirken häufig arrogant und gleichgültig

  6. Wie viele Menschen können keine Gesichter erkennen?

  7. Die Ursachen von Gesichtsblindheit

  8. Berühmte Persönlichkeiten: Brat Pitt ist gesichtsblind

  9. Prosopagnosie: Behandlungen und Therapien



Symptome: Wenn ein Gesicht wie das andere aussieht


Der Begriff Prosopagnosie setzt sich aus den beiden altgriechischen Wörtern für „Gesicht“ und „Nichterkennen“ zusammen. Es heißt, wir Menschen erkennen Gesichter nicht anhand des einzelnen Gesichtes, sondern infolge der Abweichung zu anderen. Menschen, die gesichtsblind sind, haben diese Fähigkeit nicht. Für sie sieht jedes Gesicht identisch aus. Sie können keine Unterschiede finden, weder das Geschlecht noch das Alter des Gegenübers bestimmen. Jede Begegnung mit einem Menschen ist wie die erste – egal ob ein Arbeitskollege oder der eigene Bruder.


Das geht so weit, dass manche keine Emotionen wahrnehmen können, also nicht verstehen, wie sich die andere Person gerade fühlt – was die Kommunikation und das soziale Miteinander stark erschwert. Nicht wenige Gesichtsblinde erkennen selbst ihr eigenes Gesicht im Spiegel oder auf Fotos nicht. Tests haben gezeigt, dass viele gesichtsblinde Menschen die Mundpartie von anderen eher wiedererkennen als Augen und Augenbrauen. Die Wahrnehmungsstörung betrifft also vor allem den Augen-Bereich. Tiergesichter hingegen, können Gesichtsblinde in vielen Fällen problemlos wahrnehmen.



Die 5 Gruppen von Menschen mit Gesichtsblindheit


Zur besseren Charakterisierung werden Betroffene, die unter Prosopagnosie leiden, in fünf Gruppen eingeteilt – abhängig von der Ausprägung der Wahrnehmungsschwäche. Einteilung nach Dr. W. Laskowski, Institut für kognitive Neurowissenschaft, Ruhr-Universität Bochum:


1. Gruppe


  • Gesichter werden vergleichsweise selten nicht erkannt

  • Meistens in Situationen, in denen man unerwartet auf eine bestimmte Person trifft

  • Wird von Betroffenen häufig nicht als störend oder als Krankheit empfunden


2. Gruppe


  • Gesichter werden sehr undeutlich wahrgenommen

  • Es kommt leicht zu Verwechselungen von Bekannten



3. Gruppe


  • Gesichter werden zwar deutlich wahrgenommen, aber der Eindruck des entsprechenden Gesichts innerhalb von wenigen Minuten wieder vergessen, wenn es nicht mehr angesehen wird


4. Gruppe


  • Gesichter werden als ungenaue, strukturlose „Fläche“ gesehen und nicht dreidimensional (holistisch) wahrgenommen

  • Gesichter erscheinen also identisch


5. Gruppe


  • Ein bestimmtes Spektrum an Gesichtsblinden kann auch in Träumen keine Gesichter erkennen

  • Die Gesichter sind „leer“



Wie orientieren sich gesichtsblinde Menschen?


Menschen, die mit Gesichtsblindheit geboren wurden, wissen manchmal gar nicht, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Bereits Kinder entwickeln Strategien, um mit der Situation umzugehen und orientieren sich vielmehr an der Stimme, Bewegung, Statur und Kleidung anderer Personen.


Manche Menschen mit Prosopagnosie können problemlos einzelne Bestandteile der Gesichter erkennen. Ein Gesicht erscheint in diesem Fall also nicht verschwommen. Die gesichtsblinde Person ist nur nicht in der Lage, die notwendigen Informationen zu verarbeiten. Sie kann jedoch Wimpern, Leberflecke oder die Zahnstellung erkennen und die Identität eines bestimmten Menschen daran festmachen.



Diagnose: Gesichtsblindheit bleibt häufig unerkannt


Eben aus jenem Grund, dass bereits Kinder lernen, sich mit ihrem Defizit zurechtzufinden, wird vom Umfeld häufig gar nicht erkannt, dass etwas mit ihnen nicht in Ordnung ist. Kinder mit Prosopagnosie neigen in Kindergarten und Schule jedoch dazu, sich vorwiegend an eine kleine, ihnen vertraute Gruppe von Menschen zu halten. Sich in großen Menschenmengen zu orientieren ist sehr schwer, weil sie die allermeisten Personen von Tag zu Tag nicht wiedererkennen. Um eine Wahrnehmungsschwäche für Gesichter zu diagnostizieren, wurde eigens der sogenannte „Cambridge Face Memory Test“ entwickelt.


Gesichtsblinde wirken häufig arrogant und gleichgültig


Weil Menschen, die an Gesichtsblindheit leiden, häufig Augenkontakt vermeiden und nicht adäquat auf Emotionen reagieren können, wirken sie auf ihr Umfeld nicht selten arrogant oder desinteressiert. Wenn sie auf der Straße zufällig auf Bekannte treffen, grüßen sie diese häufig nicht, weil sie sie schlichtweg nicht erkennen. Aufgrund dieses „unsozialen“ Verhaltens wird Prosopagnosie manchmal fälschlicherweise als Autismus diagnostiziert. Die Krankheit kann jedoch auch in Zusammenhang mit Autismus auftreten.


Prosopagnosie: Was ist Gesichtsblindheit? - Symptome, Ursachen und Behandlung
Wie viele Menschen unter uns sind gesichtsblind?

Wie viele Menschen können keine Gesichter erkennen?


Im Jahr 2005 wurde eine Untersuchung an rund 700 Schülern und Studenten im Raum Münster durchgeführt. Bei etwa 2,5 Prozent von ihnen wurde eine erblich bedingte Form von Gesichtsblindheit festgestellt. Eine neuropsychologische Studie spricht davon, dass jeder 40. Erwachsene keine Gesichter erkennen kann – das entspricht etwa zwei bis drei Prozent der Weltbevölkerung. Die Krankheit kommt unter Männern und Frauen in gleichem Maße vor.


Die Ursachen von Gesichtsblindheit


Wie bereits erwähnt, kann Gesichtsblindheit angeboren sein (Kongenitale Prosopagnosie) und etwa aufgrund einer Genmutation auftreten. Sie kann aber auch als Folge eines bestimmten Ereignisses entstehen (Apperzeptive Prosopagnosie). Als Ursachen hierfür kommen Unfälle mit Schädeltrauma, Hirntumore oder Kreislaufstillstände infrage.


Prosopagnosie wird auch als Lernstörung bezeichnet. In den ersten Lebensjahren lernt ein Mensch bestimmte Signale aus seiner Umwelt zu deuten. Auf diese Weise erwirbt er zum Beispiel seine Muttersprache. Innerhalb dieses Lern- und Entwicklungsprozesses werden neuronale Netzwerke gebildet. Bei Menschen mit Gesichtsblindheit sind die entsprechenden Gehirnregionen weniger gut vernetzt.



Berühmte Persönlichkeiten: Brat Pitt ist gesichtsblind


Natürlich gibt es auch so manche Prominenten und Personen des öffentlichen Lebens, die unter Gesichtsblindheit leiden und sich dessen bewusst sind. Der US-amerikanische Politiker John Hickenlooper erzählte in einem Interview mit CNN, dass er seiner Frau viermal vorgestellt werden musste, bevor er sie letztendlich wiedererkannte. Auch die schwedische Kronprinzessin Victoria hat eine Wahrnehmungsschwäche für Gesichter.


Ein weiteres prominentes Beispiel ist der US-amerikanische Schauspieler und Welt-Star Brad Pitt. In einem Interview mit der „GQ“ verriet er, dass er erst im Laufe seiner Karriere gemerkt habe, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Viele Menschen würden ihn aufgrund seiner Gesichtsblindheit als „unnahbar“, „unzugänglich“ oder „selbstbezogen“ abstempeln.


„So viele Leute hassen mich, weil sie denken, dass ich sie nicht respektiere. [...] Niemand glaubt mir.“ – Brat Pitt im Esquire, 2013


Prosopagnosie: Behandlungen und Therapien


Die Krankheit gilt als wenig erforscht. Eine Heilung von Gesichtsblindheit ist bisher ausgeschlossen. Es gibt auch keine entsprechenden Medikamente, die die Symptome abschwächen. Allerdings bestehen Möglichkeiten, insbesondere Kindern mit einer frühen Diagnose zu helfen, sich zurechtzufinden und damit das „Defizit“ auszugleichen – sogenannte „Kompensationsstrategien“, wie sie Dr. Ingo Kennerknecht nennt, der am Institut für Humangenetik an der Universität Münster bereits seit Jahren zu Prosopagnosie forscht. Betroffene lernen sich an eben jenen Punkten wie Stimme, Bewegung und Kleidungsstil zu orientieren, die die Identifikation einer Person möglich machen, ohne das Gesicht als solches erkennen zu müssen. Auf der anderen Seite hilft die Aufklärung des Umfeldes für ein besseres Verständnis der Krankheit bei den Mitmenschen.


Um ein gesichtsblindes Kind in eine neue Schulklasse zu integrieren, wird zum Beispiel empfohlen, regelmäßig Namens- und Kennenlernspiele zu veranstalten. Anstecker mit einzigartigen Symbolen an der Kleidung helfen ebenfalls, bis das Kind mit Prosopagnosie gelernt hat, seine Mitschüler zuverlässig an anderen körperlichen Eigenschaften zu erkennen.


 

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Quellen bzw. weiterführende Links:


(2) Ruhr-Universität Bochum: „Gesichtsblindheitsformen“

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